Natural, Bits and Pieces
Galerie Béatrice Brunner, 2020

Es ist die Natur mit ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen, die in den Arbeiten von Baum/Jakob im Zentrum steht. Damit einher geht auch unser mediatisierter Blick darauf sowie die damit einhergehende Distanz zu ihr. Mit dem Titel „Natural, Bits and Pieces“ verfolgen Baum/Jakob weiter die Frage nach dem Unterschied und der gleichzeitigen Verwobenheit von Kultur und Natur. Wo werden wir Menschen Teil der Natur und was hat sich aufgrund unseres Einwirkens auf die Natur verändert? Inwiefern können wir noch von „natürlich“ sprechen?
Baum/Jakob thematisierten diese Frage bereits in der Ausstellung «Connected in Isolation» (2017, Galerie Béatrice Brunner) und spielten mit der bewussten Isolation von botanischen Elementen. Auf Wanderungen haben sie wilde, einheimische Blumen vor einem weissen Brett fotografiert und in Heliogravuren reproduziert. Davon zeugt auch das Werk mit dem Titel «Natural, Bits and Pieces 11». Diese Idee führen die Künstlerinnen in der hiesigen Ausstellung weiter.
Das Thema der Isolierung wird zudem in den dreidimensionalen Raum überführt. „Natural, Bits and Pieces 8“ lässt auf den ersten Blick an ein Arrangement eines Blumenstilleben erinnern. Bei genauerem Hinschauen lassen sich jedoch Details entdecken, die die Natürlichkeit der Komposition aufbrechen: Neben dem prominenten Ziegelstein lässt sich beispielsweise eine gelbe Rohrbürste erkennen, die sich in ihrer Ausprägung nur wenig von den Pflanzen unterscheidet. Die Installation weckt damit auch Assoziationen zur Bionik – dem Übertragen von Phänomenen der Natur auf die Technik. Oftmals dienen natürliche Vorkommnisse als Inspiration bei der Entwicklung von Nutzungsgegenständen. Ein Vorgehen, was wiederum an die Ausgangsfragen anknüpft. Der Mensch überführt natürliche Vorkommnisse in kulturelle Gegenstände, womit diese einen zusätzlichen Faktor erhalten, nämlich Funktionalität.
Auffallend ist zudem der Einsatz von Latex, der unterhalb des Glastisches in «Natural, Bits and Pieces 9» und in der Arbeit «Natural, Bits and Pieces 1» erkennbar wird. Ein Material, das mit seiner Farbigkeit stark an die Konsistenz von Haut erinnert und somit das «Menschliche» in das Kunstwerk selbst integriert.
Wie auch in den früheren Arbeiten von Baum/Jakob spielt die Überführung eines ursprünglichen Kontextes in eine neue Form sowie die Fragen nach De- und Rekontextualisierung eine zentrale Rolle. Dies wird unter anderem in den Prägedrucken «Natural, Bits and Pieces 6 / 7» erkenntlich, wo nur noch der Abdruck der Pflanze zu sehen ist. Was geht verloren, was kann neu erfahren werden und wo gilt es besonders achtsam zu sein und den Einfluss der Menschen auf die Natur und die damit einhergehenden Konsequenzen zu hinterfragen? In den haptischen Arbeiten greifen die Künstlerinnen ausgewählte Aspekte auf, stellen sie in einen erweiterten Kontext und verweisen dabei auf die zunehmende Komplexität ökologischer, ökonomischer und sozialer Gegebenheiten. Sie deuten auf unsere Entfremdung und gleichzeitige Sehnsucht nach Natur hin.
Diese Thematik wird auch im gegenüberliegenden Galerieraum aufgegriffen. Im Jahr 2019 besichtigten Baum/Jakob den Rhonegletscher, im äussersten Nordosten des Kantons Wallis. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war der Gletscher aufgrund seiner markanten Zunge eine Attraktion für Touristinnen und Touristen. Heute bereitet ihm vor allem auch sein augenfälliger Rückzug Bekanntheit. Die Künstlerinnen dokumentieren vor Ort, filmen, fotografieren und nehmen im Schmelzwasser Unterwassergeräusche auf: Das unaufhaltsame Plätschern des Wassers unterstreicht das beständige Schmelzen des sogenannten ewigen Eises, eine Folge des sich erwärmenden Klimas. Immer wieder ist das Brechen von einzelnen Eisstücken hörbar, deren Aufprall zumal erschreckend ist. Parallel dazu befindet sich im Galerieraum eine Serie von Schwarzweiss-Fotografien. Sie zeigen grau verfärbte Polyester-Vliese, die in einer Grösse von mehreren Fussballfeldern den Gletscher bedecken. Sie sollen eben diesen vor Sonnenlicht schützen, um die Bewegung und Verformung des schmelzenden Eises zumindest zu verlangsamen. Starke Windböen jedoch reissen die Abdeckung auf und lassen lose Enden aufflattern. Die gerissenen Stellen müssen fortlaufend repariert werden. Das Resultat des Flickenteppichs lässt an Beduinenzelte oder gar an Bilder von Flüchtlingscamps erinnern. Mit der Wahl von Stofffahnen als Träger der Fotografien und deren scheinbar unbedachten Drapierung, referieren die Künstlerinnen auf die beschriebene Ästhetik. Mit „Ice – Moving – Me“ haben sie ein sinnliches Werk erschaffen, welches den verzweifelten Versuch des Menschen aufzeigt, das Verschwinden des Gletschers zu verhindern.
Katrin Sperry 

Artifizielle Botanik Die Ausstellung „Scientific Gardening" befasst sich mit seltsamen Gewächsen an der Schnittstelle von Kunst, Natur und Wissenschaft

Den .öffentlichen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst" zu fördern und dabei „sinnliche Erkenntnis zu ermöglichen" hat sich die Münchner Eres-Stiftung zur Aufgabe gemacht. Damit steht sie in der Tradi­tion der Kunst-und Wunderkammern der Renaissance, in der die Fürsten vor „Erfindung" des Museums Mirabilien sammelten, ohne zwischen Natu­ralien und Artefakten zu unterscheiden. Unter dem T1tel „Scientific Garde­ning" präsentiert die Stiftung in ihrem Schauräumen derzeit acht zeitgenös­sische Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem „analytischen Blick auf Pflanzen" auseinandersetzen. Diese kontrastiert Kuratorin Sabine Adler mit frühen Bildformen der Botanik.
Der Blick durchs Mikroskop hat die Sicht auf die Welt entscheidend verän­dert und spielt auch in der facettenreichen Ausstellung eine wesentliche Rolle. Die Mikroskopie diente stets dem Erkenntnisgewinn und steigerte zugleich die Lust am Schauen in die betörend schönen Kleinststrukturen des Kosmos. Die Technik hat sich seither fortentwickelt -von Licht-über Rasterelektronenmikroskopie hin zu Fluoreszenz-und STED-Mikroskopie. Der Arzt und Zoologe Ernst Haeckel (1834-1919) entdeckte bereits im 19. Jahrhundert „Kunstformen der Natur" und brachte faszinierende Vielfach­Vergrößerungen von Kieselalgen (Diatomeen) in die bürgerlichen Salons. Faszinierend sind auch Robert Brendels (1821-1898) botanische Lehrmo­delle aus der Zeit um 1900, die etwa den weiblichen Blütenstand und die männlichen Samenkätzchen des Haselstrauchs zeigen -aber auch als bizarre Designobjekte bestehen könnten. Und Alois Auers (1813-1869) höchst aufwändige Naturselbstdrucke aus der Wiener Hof-und Staats­ druckerei von 1856 bestechen durch ihre filigrane, fast haptische Qualität.
Auch das klassische Herbarium dient noch heute als Methode zur Erkun- dung unerforschter Arten, worauf sich die US-Amerikanerin Helen Mirra (' 1970) bezieht. Sie sammelte Pflanzen des nördlichen Polarkreises und drapierte sie zu einem artifiziellen Herbarium, in dem die getrockneten Stie-Den .öffentlichen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst" zu fördern und dabei „sinnliche Erkenntnis zu ermöglichen" hat sich die Münchner Eres-Stiftung zur Aufgabe gemacht. Damit steht sie in der Tradi­tion der Kunst-und Wunderkammern der Renaissance, in der die Fürsten vor „Erfindung" des Museums Mirabilien sammelten, ohne zwischen Natu­ralien und Artefakten zu unterscheiden. Unter dem T1tel „Scientific Garde­ning" präsentiert die Stiftung in ihrem Schauräumen derzeit acht zeitgenös­sische Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem „analytischen Blick auf Pflanzen" auseinandersetzen. Diese kontrastiert Kuratorin Sabine Adler mit frühen Bildformen der Botanik. Der Blick durchs Mikroskop hat die Sicht auf die Welt entscheidend verän­dert und spielt auch in der facettenreichen Ausstellung eine wesentliche Rolle. Die Mikroskopie diente stets dem Erkenntnisgewinn und steigerte zugleich die Lust am Schauen in die betörend schönen Kleinststrukturen des Kosmos. Die Technik hat sich seither fortentwickelt -von Licht-über Rasterelektronenmikroskopie hin zu Fluoreszenz-und STED-Mikroskopie. Der Arzt und Zoologe Ernst Haeckel (1834-1919) entdeckte bereits im 19. Jahrhundert „Kunstformen der Natur" und brachte faszinierende Vielfach­Vergrößerungen von Kieselalgen (Diatomeen) in die bürgerlichen Salons. Faszinierend sind auch Robert Brendels (1821-1898) botanische Lehrmo­delle aus der Zeit um 1900, die etwa den weiblichen Blütenstand und die männlichen Samenkätzchen des Haselstrauchs zeigen -aber auch als bizarre Designobjekte bestehen könnten. Und Alois Auers (1813-1869) höchst aufwändige Naturselbstdrucke aus der Wiener Hof-und Staats­ druckerei von 1856 bestechen durch ihre filigrane, fast haptische Qualität.
Auch das klassische Herbarium dient noch heute als Methode zur Erkun- dung unerforschter Arten, worauf sich die US-Amerikanerin Helen Mirra (' 1970) bezieht. Sie sammelte Pflanzen des nördlichen Polarkreises und drapierte sie zu einem artifiziellen Herbarium, in dem die getrockneten Stiele und Blüten von Knöterich und Siebenstern auf dem Papier miteinander zu tanzen beginnen. Ebenfalls Feldforschung betrieben Jacqueline Baum (' 1966) und Ursina Jakob(' 1955). Karthäusernelke und Klatschmohn, Klee und Kratzdistel: Das Schweizer Künstlerinnenduo brachte bedrohte Wie­senblumen, wie sie -derzeit noch -auf Magerwiesen im Wallis wachsen, in einem komplexen Verfahren auf Papier. Sie kombinierten die im 19. Jahr­hunderts entwickelte Heliogravüre mit dem modernen CMYK-Druck; die Darstellung besticht durch Präzision und Plastizität. Diese letzten Wildblu­men stellen sie in ihrer zweiteiligen Arbeit „Connected in Isolation" einem Film über die Massen-Produktion von Tulpen in einem holländischen Groß­betrieb gegenüber.
Maria Sybilla Merians (1647-1717) Blumenstiche benutzt der Maler Markus Huemer ('1968) als Musterbücher für seine ornamentalen Gemälde. Er ver­größert die Silhouetten der dargestellten Pflanzen als Negativumriss auf die Leinwand, wobei die umgebende Bildfläche stets blau ist. Diese „Blaupau­sen" kombiniert er mit Namen von Computerviren, da jene für ihn die Arten­vielfalt des digitalen Zeitalters bedeuten.
Die Serie „The Alphabet of Plants" mit Schwarz-Weiß-Fotografien rundet die Schau ab: Der Münchner Künstler Robert Voit (' 1969) erweist damit dem Pflanzenfotograf Karl Blossfeldt seine Referenz, die sich nur bei genauem Hinsehen vom neusachlichen Original unterscheidet: Alle Aufnah­men Voits zeigen Plastiknachbildungen von Pflanzen -ob den gerollten Wurmfarn oder die stachlige Kugel mit dem sprchenden Namen „Schwie­germutterstuhl". Eine leise ironische Täuschung und zugleich kritische Wür­digung unserer Plastik-Kultur.
Roberta De Righi

Garten der Wissenschaft
Eine Ausstellung der ERES-Stiftung beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Kunst und Botanik

München (DK) Der Baum atmet hörbar. Wieder und wieder öffnen sich Schlünde und stoßen weißen Nebel aus, um sich dann wieder zu verschließen. Wir sehen hinein in die Rinde, in die Oberfläche von Blättern, und erleben die Wechselwirkung zwischen Pflanze und Atmosphäre in einem Video, das die beiden australischen Künstler Ken und Julia Yonetani produziert haben.
Diese Arbeit ist ein Highlight in der Ausstellung „Scientific Gardening“ (zu Deutsch: „Wissenschaftliches Gärtnern“) in der ERES-Stiftung München.
Der zeitliche Bogen, der mit den Exponaten geschlagen wird, reicht von den botanischen Lehrmodellen um 1900, die wie skurrile Jugendstil-Plastiken wirken, bis hin zu einem aufblasbaren Samen-Modell, das der niederländische Künstler Ronald van der Meijs aus Plastiktüten und einem Schlauchsystem geschaffen hat. Diese raumfüllende Arbeit reagiert mit einem Bewegungsmelder auf Besucher und thematisiert damit auch die prägende Rolle des Menschen bis in die Mikroprozesse der Natur hinein.
Interessant ist, dass es nicht die exotischen, teuren und auffälligen Pflanzen sind, welche die Künstler interessieren, sondern Vergissmeinnicht und Frauenmantel, die Helen Mirra aus den USA in ein kunstvoll arrangiertes Herbarium presst, oder Wildblumen aus den Walliser Alpen, die Jacqueline Baum und Ursula Jakob fotografieren und dann in einem komplizierten Verfahren auf Kupferplatten drucken. Dieser Artenvielfalt, die durch Dünger bedroht ist, stellen sie das Video holländischer Tulpenfelder entgegen: Die Blume als Massenprodukt, der Garten als Fabrikhalle.
Insgesamt sechs künstlerische Positionen sind zu sehen, und ihnen gegenübergestellt werden Pflanzenaufnahmen mit verschiedenen wissenschaftlichen Mikroskopen am Beispiel der „Ackerschmalwand“ oder „Gänserauke“, einer unscheinbaren Pflanze am Wegesrand, die auch den „Trockenstress“ in den Ausstellungsräumen überstehen kann. Ergänzt wird dieser „Garten der Wissenschaft“ durch Vorträge, die sich mit Herbarien, Elektronenmikroskop und der Bildgeschichte der Botanik auseinandersetzen. Die Besucher sind eingeladen, einen neuen, tieferen Blick auf die Pflanzen zu gewinnen – auch wenn manche Einblicke durchaus unheimlich und furchterregend wirken können. Die Pflanzen überleben im Zweifelsfall länger und besser als die Menschen – dieses Wissen könnte und sollte unseren Umgang mit ihnen beeinflussen.
Annette Krauss

Anthology of flowers, SFKP, 2020

The focus of our long-standing project Connected in Isolation was initially on the different descriptions of processes and ways of representing objects of nature from art and science - their detachment from a larger context and their transformation.
Anthology of Flowers contains image and text material, which was presented in different ways in our installations. For example, in our installation of the research project Connected in Isolation, we contrasted the portraits of flowers from the Valais Alpine landscape, whose continued existence is threatened by heavy fertilisation, with preparations of plant cross-sections provided by the Zurich University of Applied Sciences under a microscope, which, as representatives of a natural science laboratory, represented a scientific isolation process. We were initially interested in how the two approaches differ in principle and what changes from the other perspective. These spatial arrangements showed self-contained groups of works that related to each other.

In the book we try to use the linearity and the arrangement of the double pages to reconnect the raw material by artistic means through juxtapositions and insertions. We ask whether the originally larger context is lost or can be experienced in another, new form. The interviews with experts from different disciplines, our personal working dialogue as well as the photos and films of the working process and the test prints sometimes meet by chance due to the folding of the printed sheets. The CMYK printing inks are removed from the four-colour heliogravure printing as full-page colour areas, and the sequence of individual images from the tulip production film in the appendix make fragmentation even more explicit. The result is an interweaving of de- and recontextualization in which the isolated is to be rediscovered, reread. This experimental procedure creates the possibility that concepts and procedures can be questioned and expanded anew and that our view of art and/or science can change in the process.
Jacqueline Baum, Ursula Jakob

KunstArchivKunst, Stadtgalerie, 2015

Die Befragung von eigenen Arbeitsprozessen findet sich auch bei Jacqueline Baums und Ursula Jakobs multimedialer Installation, die Materialien aus ihrem mehrjährigen künstlerischen Forschungsprojekt Connected in Isolation beinhaltet. Das Projekt, welches sich dem Überthema der Isolierung und Reproduktion von Natur widmet, wird hier in eine verräumlichte Form übertragen und als konsultierbare Kulturstätte inszeniert. Ausgehend von dem anfänglichen Interesse an wilden, einheimischen Blumen, die Baum/Jakob auf Wanderungen entdeckten, vor weissem Brett fotografierten und in Heliogravuren reproduzierten, erschlossen sich die beiden im Laufe des Forschungsprojekts andere künstlerische und gesellschaftliche Bereiche rund um die Thematik der Isolierung und Reproduktion von Natur. Mittels Recherchen, Interviews und Videoaufnahmen wurden Aspekte der Botanik, der naturalistischen Malerei, der künstlichen In-Vitro-Reproduktion von Pflanzen im Labor sowie der monokulturellen Tulpenzüchterei in einer Industrieanlage behandelt. Ein nochmaliges Konsultieren des Materials nach einer ersten Formfindung des Projekts resultierte in der hier zu sehenden Re-Interpretation. Die ersten finalen Erzeugnisse – Heliogravuren, Fotogramme und eine Videoinstallation – werden hier sekundär, eher rücken die Quellen, technischen und inhaltlichen Zwischenstationen in den Vordergrund: botanische Bestimmungsliteratur, Probedrucke, Druckplatten, Wischtücher; zusätzliche technische Erläuterungen; verschiedene editorische Zustände der Interviews sowie der Blick in das Video-Schnittprogramm sind zu sehen. Das ganze Setting wird von den Stimmen der Künstlerinnen als Audiokommentar begleitet.
Gabriel Flückiger, Kurator, Zürich 

Die Aura der Kopie oder das Alphabet der Klone – Jacqueline Baum und Ursula Jakobs künstlerisches Projekt Connected in Isolation (2014-2015)

In ihrer künstlerischen Forschungsarbeit connected in isolation (2014-2015) untersuchen die Schweizer Künstlerinnen Jacqueline Baum und Ursula Jakob wissenschaftliche und künstlerische Abbildungen als De- und Rekontextualisierungsprozesse und greifen dabei u.a. auf fotomechanische Druckverfahren zurück. Ihre Untersuchung kann als Reflexion über die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung im künstlerischen Medium technischer Reproduktion gelesen werden und ist auch eine Reflexion über das, was Walter Benjamin ab Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts mit dem schillernden Begriff der Aura zu fassen versuchte.
Der unter den Bedingungen moderner Massenmedien und Massengesellschaft von Walter Benjamin konstatierte (und seither ebenso massenhaft zitierte) „Auraverlust“ hängt weder dem Medium technischer Reproduktion selbst noch der Kopie als einer ihrer Eigenschaften an. Es ist also auch nicht das „Ding“, sondern allenfalls die medial vermittelte, dem Medium aber nie allein anheim fallende, wahrnehmende Beziehung zum Ding, die seine auratische Qualität zeitigt. Aura, so formuliert Benjamin in notizenhafter Dichte in der letzten Phase seiner Arbeit am Passagenwerk, sei die „Projektion einer gesellschaftlichen Erfahrung unter Menschen in die Natur: der Blick wird erwidert“ . Der auratisch wahrnehmende Mensch ist in Erwartung einer Replik, die sich im Blick des Dinges ankündigt und zugleich entzieht. Es ist ein wahrnehmendes Bewusstsein für die „Authentizität“, das Spuren-Ziehen eines Dinges in der Geschichte, seine flüchtige Präsenz, die seine Nicht-Verfügbarkeit als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ ausmacht. Und es ist u.a. der instrumentelle Umgang mit den Dingen in ihrer vollständigen Verfügbarkeit als Ware, viel mehr noch als Massenware, der keine Spuren ihres je eigenen Produktionsprozesses mehr anhaften, der das Auratische gefährdet oder im werbenden Ausstellungsakt als auratische Hülle verklärt.
Für Benjamin ist der Auraverlust daher nicht zwangsläufig zu bedauern, sondern kann und muss auch als Befreiungsschlag, als „Schock“ verstanden werden, für den die Kunst als „empfindlichster Kern“ des in der Moderne stattfindenden Umbruchs seismographisch zahlreiche Beispiele gibt. Ein Auraverlust als „einer der Namen für den modernen Erfahrungsverlust“ muss jedoch nicht als irreversibel, sondern kann durchaus auch als Möglichkeit einer Reauratisierung unter anderen Vorzeichen verstanden werden. In diesem Sinne liest der Kunstwissenschaftler Boris Groys den Benjaminschen Auraverlust als De- und Rekontextualisierungsprozess in den Künsten. Während das Original einen Ort besitzt, so kommt der Kopie nach Boris Groys zunächst eine „Ortlosigkeit“ zu, sie ist das Ergebnis einer „Deterritorialisierung“ des Originals, das in den Künsten neuer Medien durchaus eine „Rekontextualisierung“, eine „Reterritorialisierung“ erfahren kann.
Auf den ersten Blick erinnern die „Blumenbilder“, die in aufwändigem Vierfarbdruck erstellten Heliogravuren einzelner Wiesenpflanzen aus der Forschungsarbeit connected in isolation an wissenschaftliche Studien und Lehrabbildungen, wie sie mit den Bildbeiträgen botanischer Zeitschriften, Lehrbücher oder Enzyklopädien ein immer breiteres Publikum fanden und zu Studien- und Lehrzwecken in der Fachliteratur der Botanik nach wie vor üblich sind. Ähnlich einer botanischen Bestandsaufnahme wurde die Pflanze dazu zunächst von ihrem natürlichen Umfeld der Wiese isoliert. Der von Baum und Jakob vorgenommene künstlerische Delokalisierungsprozess achtet jedoch auf die physische Unversehrtheit der Pflanze und inszeniert nicht durch Schnitt und Abtransport ins Labor, sondern stellt die Pflanze wie in einem Fotostudio vor einer weißen Leinwand frei. Folgt der botanischen Isolation ein Abstraktionsprozess, an dessen Ende ein Prototyp mit idealtypischen Merkmalen steht, der im Kontext seiner botanischen Klassifikation aufgeht, so entstehen in dem künstlerischen Labor von Baum und Jakob individuelle Pflanzenportaits (Heliogravuren, 30 x 42 cm), die sich als Ensemble wie eine Galerie (oder, wie die Künstlerinnen formulieren, wie ein „Bildergarten“) präsentieren.
Die Portraits von Klatschmohn, Kratzdistel und Karthäusernelke der Walliser Alpenlandschaft, deren Fortbestand durch starke Düngung bedroht ist, stellen Baum und Jakob in ihrer Installation des Forschungsprojektes Connected in Isolation kontrastiv botanische Mikroskopiertische und Präparate von Pflanzenquerschnitten gegenüber, die von der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften zur Verfügung gestellt wurden, und als Stellvertreter eines naturwissenschaftlichen Laboratoriums einen wissenschaftlichen Isolationsprozess repräsentieren.
In der kontrastiven Gegenüberstellung verschiedener Isolationsprozesse der Installation Connected in Isolation findet sich noch eine weitere künstlerische Arbeit ein, es ist ein 2,20 x 120 cm großes Fotogramm, das die Monokulturen einer massenhaften Pflanzenproduktion thematisiert. Denn die Möglichkeiten technischer Reproduzierbarkeit haben in Form von Klonen längst den Bereich des Lebendigen erobert. Liegt der Wert massenhafter Produktion in der Quantität einer identischen Qualität und trägt ihre Ansammlung austauschbarer Elemente in der Regel den Charakter eines in sich unbestimmten Haufens, so überführen die Schweizer Künstlerinnen 200 in Deutschland und Thailand produzierte Orchideensetzlinge in ihrem photographischen Arrangement wieder in eine Sammlung. Voraussetzung ist auch hier ein Isolationsprozess – diesmal eine Isolation aus der Masse – indem sie ein Schnurgitter als Rasterverfahren verwenden, wie es in der Wissenschaft zum Vermessen von Objekten üblich ist. Ohne Maßstab wird dieses Schnurgitter zu einer Art Setzkasten, in dem die Setzlinge ohne das Zwischenmedium Kamera direkt auf dem lichtempfindlichen Material positioniert werden und an Stelle eines Negativs in der Belichtung eine „authentische“ Spur als Schattenriss generieren. In ihrer serialen Anordnung erinnern die einzelnen Setzlinge auf den ersten Blick an die Bewegungsstudien von Muybridge, ohne dass sich jedoch eine Bewegungsabfolge generieren ließe. In ihrer fragil wirkenden, je eigenen Krümmung scheinen die Setzlinge der durch das Klonen verordneten Identität entkommen und wirken in der strengen Anordnung, die jedem Setzling seinen Platz zuweist, eher wie Schriftzeichen eines unbekannten Alphabetes. Mit dem Orchideen-Fotogramm ist Baum und Jakob ein in seiner Einfachheit bestechendes Sinnbild für das Ineinander von De- und Rekontextualisierung gelungen, in der es das Isolierte neu zu entdecken, neu zu lesen gilt. Denn eine „reine Isolation“, so könnte man das künstlerische Plädoyer von Connected in Isolation formulieren, gibt es ebenso wenig wie eine „totale Kopie“ . Lässt man sich auf diesen Gedanken ein, so wäre eine Begegnung mit dem Ding möglich, auch wenn es sich „nur“ als eine Kopie erweist; im künstlerischen Medium technischer Reproduzierbarkeit – gerade auch die in ihm mögliche befreiende Verfremdung – hätte eine Reauratisierung stattgefunden.
Sarah Schmidt 


Literaturliste
Elo, Mika, „Die Wiederkehr der Aura“, in: Christian Schulte (Hg.), Walter Benjamins Medientheorie, Konstanz, 2005, 117-135.
Groys, Boris, Topologie der Kunst, München, Wien 2003, 33-36.
Barthes, Roland, Die helle Kammer , Frankfurt a.M., 1989 [1980].
Benjamin, Walter, Gesammelte Schriften, I/2, Frankfurt a. M., 1980.


SAM Art Master, St. Moritz, 2011

Short curatorial description of the project "Spreading The Word"
The St. Moritz Art Foundation has contracted the artist:network, an independent arts organization based in New York and Beijing to facilitate the contextual and mechanical framework for this years SAM foundation black box competition. The:artist:network, under the curatorial supervision of Marc and Alexandra Hungerbuhler have conceived the "Lingua Franca" project for the St. Moritz Art Master 2011, and in this function chosen to integrate the swiss black box recipient into the group of six international positions represented in the "Lingua Franca" portion of this years festival.

The project is both conceptually enrolled in the discussion of "Lingua Franca" as an interpretive possibility through artistic process, and it engages the public space as integral part of the work-in-progress, and as final destination to interface the public. "Spreading The Word" follows a linear structure in the way it suggest the constructive building of the installation, the interviews, the layering of speech, the narrative, and ultimately presenting itself as an audio-intervention, less spectacle than open ended composition. The multi-layered perceptual experience of "Spreading The Word" hinges therefore on the integration of the viewer/public with the active participation from the outset in its construction, utilizing personal content, it propels the presentation contextually onto the site, where it serves as philosophical and tactical signifier. In addition, the artists will distribute a booklet containing key passages of the interviews, images etc. to find yet another mode of dissemination relevant to the poly-directional orientation of "Spreading The Word".

Marc Hungerbuhler New York 5/4/11

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